Donnerstag, 19. Juli 2012

Review: Radiohead - The King Of Limbs

Ein gravierender Mix aus Vorfreude und Verwirrung war auch dieses Mal gegeben, als Radiohead ihr neues Album "The King Of Limbs" ankündigten, denn es geschah urplötzlich und über Nacht. Gerade einmal vier Tage standen zwischen der Meldung und dem Release. Letztlich wurde "The King Of Limbs" sogar noch einen Tag vorgeschoben, was eine massive Mundpropaganda unter den Anhängern entfachte - so macht man in der heutigen Zeit sinnvoll Werbung.

Radiohead mögen eine der bekanntesten Bands des Planeten sein, doch es gibt einfach kein Zeichen von Arroganz, kein Zeichen einer Hingabe zur Massenbewegung, keinerlei kapitalistische Absichten, die über ein normales Maß hinausgehen. Mit ihrer Veröffentlichungspolitik haben sie jedenfalls nicht nur die Musikpresse, sondern auch ihr eigenes Label veräppelt und damit einen extra Sympathiebonus meinerseits erhascht. Diese gelebte Kreativität hört man vor allem der Musik an, denn "The King Of Limbs" ist schüchtern, verstörend und im Nachhinein dennoch irgendwie brutal eingängig.

"Irgendwie eingängig" trifft es hier tatsächlich sehr gut. Die Atmosphäre des Albums ist auf der gesamten Strecke sehr schräg, abstrakt und ungreifbar. Der erste Track "Bloom" erschafft diese Attribute innerhalb der ersten Minute, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Der anhaltende Synthie-Loop im Hintergrund vermittelt eine sehr hastige Stimmung, was auch durch die Drums weitestgehend unterstützt wird. Thom Yorkes Stimme zerfällt hier und da in größere Teile und schwankt zwischen gemütlicher Summerei und treibenden Versen. In Sachen Rhythmus soll es das aber noch nicht gewesen sein, denn "Morning Mr Magpie" knüppelt sich dank ungebändigten Schlagwerks durch die sehr ruhigen Gesangspassagen, bis kurz vor dem Exitus der Bass allmählich auffälliger wird. Der Schlussakt bleibt getrübt und leise, bis die nächsten schrägen Töne sich mit "Little By Little" ankündigen. Die gewürzte Disharmonie erzeugt dabei kleine Stimmungswürfel in Schieflage und Yorkes weinerlicher Gesang lässt den Titel beinahe in sich zusammenbrechen. Bei einigen Hörern werden diese Töne nicht ansatzweise die Chance bekommen, sich in den Gehörgang einzunisten. Doch für Fachkundige der Radiohead'schen Phantasie dürfte dieser Song ein weiteres abstraktes Kunstwerk sein. 


"Feral" hält ebenfalls daran fest und lässt den Hörer zwischen verzerrten Stimmen und Lounge-artigen Bässen zerschmelzen. "Lotus Flower" wurde am Tag der Veröffentlichung von "The King Of Limbs" dank YouTube an die breite Öffentlichkeit gebracht. Fünf Minuten lang geben sich tiefe Basslines und Yorkes typischer Gesang die Klinke in die Hand. Mit einem Herzschlag-Beat und einer ruhigen Seele in den Instrumenten vergehen auch die folgenden fünf Minuten von "Codex" wie im Flug. Letztlich ist es wohl der griffigste Song der Platte, denn das folgende "Give Up The Ghost" verdreht erneut die Gehirnwinde - allerdings etwas anders, als gewohnt. Eine Akustik-Gitarre mischt sich hier unter Yorkes Stimme, welche die gesamte Zeit über sehr beruhigend wirkt, während sich bei nächtlicher Lagerfeuerromantik der Geist aus den Köpfen hebt und nichtssagend davon schwebt. Nach dem ruhigen "Codex" und dem entspannenden "Give Up The Ghost" folgt mit "Separator" ein wohlgesonnener Track, der harmonisch zum Ausgang begleitet. Vor allem die beiden letzten Minuten sind es, die dank der unterschwelligen Gitarrenharmonik ein breites Wohlgefühl verstreuen. 

Nach den recht verrückten und teils unzugänglichen Anfangsminuten scheint sich zum Ende die Spannung etwas zu lösen. "The King Of Limbs" ist erneut eine Platte geworden, die erst nach und nach wächst. Selbst der geübte Radiohead-Hörer wird auch bei diesem Album einige Anläufe benötigen, um sich warm zu hören. So verschroben Radiohead auch klingen mögen, so einzigartig strahlen sie aus der Masse heraus. Gefallen muss einem die Musik der Jungs auch mit "The King Of Limbs" nicht - doch dass es sich dabei um Kunst in einem erhöhten Maße handelt, sollte jedem bewusst sein. Ein kleiner Tipp zum Schluss: Aufgeworfene Fragen, die nach jedem neuen Hördurchgang auftreten werden, behandelt man am besten mit der Repeat-Taste.

Euer Fibo

Wertung

Tracklist von "The King Of Limbs"

01. Bloom (5:15)
02. Morning Mr Magpie (4:41)
03. Little By Little (4:27)
04. Feral (3:13)
05. Louts Flower (5:00)
06. Codex (4:47)
07. Give Up The Ghost (4:50)
08. Separator (5:20)

Weitere Infos

Release: 18.02.2011
Gesamtspielzeit: 37:24
Thom Yorke (Gesang, Gitarre, Piano)
Johnyy Greenwood (Gitarre, Electronica)
Ed O'Brien (Gitarre)
Colin Greenwood (Bass)
Phil Selway (Schlagzeug)

Band-Kontakt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich bitte trotz aller Subjektivität sachlich zu diskutieren. Danke!