Dienstag, 18. September 2012

Review: Devin Townsend Project - Epicloud

Devin Townsend kann und will es einfach nicht lassen, jegliche Schwingung des Universums einzufangen und in konzentrierter Menge auf die Menschheit los zu lassen. Dafür schraubte er erneut an dem hauseigenen Sound herum, sodass "Epicloud" in neuem Glanz erstrahlt. Die Scheibe startet somit den Neuanfang innerhalb des Devin Townsend Projects. Dass dabei eines der genialsten Alben des Jahres herausspringt, war Heavy Devy wohl selbst nicht bewusst.

Das abstrakte Chor-Intro "Effervescent!" schunkelt die typische Townsend-Komik in feinsten Quanten gen Himmel. Sind wir solche Dinge beinahe schon gewohnt, platzt kurz darauf die erste Überraschung aus den Boxen. Mit "True North" wird es nämlich mal so richtig "poppig". Ich habe zumindest selten eine solch nach Zucker tönende Instrumentalisierung aus der Werkzeugkiste des Herren gehört. Doch während man sich noch fragt, ob einem diese sonderbare Art zu gefallen weiß, setzt auch schon die überschäumende Progression ein. "True North" entwickelt sich bereits nach kurzer Zeit zum merkwürdigsten Ohrwurm seit "Bend It Like Bender". "Lucky Animals", wozu Devin im Vorfeld übrigens ein urkomisches Tanz-Video aus seinem Hinterhof veröffentlicht hatte, lässt den bekannten Townsend-Beat erneut freien Lauf. Welche Energie in diesem Song steckt, kann sich ein Laie des Projektes kaum ausmalen, denn Townsend versteckt diese in den nicht immer ernst gemeinten Gesangspassagen oftmals sehr gut.

Dann zündet gleich die nächste Bombe: "Liberation" tritt durch, was das Zeug hält. Man mag die Worte unter den gefühlt eintausend gleichzeitig ablaufenden Tonspuren sicherlich nicht sofort verstehen, doch spätestens im Refrain steht eine Mitgrölpflicht in den Raum geschrieben. Einen der rockigsten und spaßigsten Titel der letzten Townsend-Jahre wird durch das sehr lauschige "Where We Belong" abgelöst. Ein wahrlich balsamierender Song, der so auf "Terria" hätte stehen können, doch durch seine gleichzeitig beschwingende Ader weitaus größere Kreise zieht.


Der Verdacht, dass das Devin Townsend Project an einem Punkt angekommen sei, an dem keine musikalische Grenze mehr überschritten werden kann, darf auf "Epicloud" beinahe minütlich revidiert werden. "Save Our Now" ist eine Hymne, die Ihresgleichen sucht und mit sphärischen Versen die melodiöse Strophe ablöst. Dabei sind die Gesangspassagen von Anneke van Giersbergen, die mittlerweile zum festen Inventar gehört, wieder großartig und untermauern die stimmige Präsenz enorm.

Nach dem Seelenfrieden folgt der metallische Sturm, der mit "Kingdom" über den Kopf des Hörers fegt. Der Song wurde vorab schon live gespielt, doch scheint er auf diesem Album an genau dieser Stelle noch wesentlich stärker zu wirken. Zusammen mit dem übernächsten Track "Grace" ist "Kingdom" der heftigste Song der Platte. Devin zeigt einmal mehr, welch verschiedene Arrangements er sich aus dem Ärmel schüttelt und vor allem wie viel Herzensliebe er in seine Stimme packt, die bei "Kingdom" beinahe vor dem Kollaps zu stehen scheint. Da startet der nachfolgende, ruhige Track "Divine", der ebenfalls ungewöhnlich, wenngleich vertraut zur Sache geht, zur richtigen Zeit.

Doch nicht dass der Hörer an dieser Stelle denken könnte, dass die musikalischen Bandbreite bereits vollkommen ausgeschöpft wäre. Das niederschmetternde "Grace" verläuft sich dann sogar kurz und mittig ins Djent-Genre und knarzt so in polytrhythmischer Gestalt aus allen Boxen - natürlich erst nachdem das Projekt bereits eine verwüstete Landschaft hinterlassen hat. Dabei scheint es bei einem Tauziehen zwischen Townsends brachialer und Giersbergens engelsgleicher Stimme zu bleiben. Dass die beiden einfach ein geniales Duo sind, zeigt ein Song wie "Grace" am lebenden Patienten.

Nach einer Verschnaufpause von knackigen drei Sekunden geht es mit "More!" in die nächste Runde der musikalischen Urgewalt, in der Townsend über die gesellschaftliche Maßlosigkeit philosophiert. "What we fake is what you take!" - die Lines saßen selten besser. Als einem das im Nachgang an "More!" angelehnte, stimmige Interlude "Lessons" die Gehirnwindungen wieder richtet, bemerkt man, wie losgelöst man doch gerade vor sich hin vegetiert. Dieses Album verbrennt Kalorien in allen Bereichen des Körper-Geist-Seele-Dreiecks - dafür steht Townsend sicherlich mit seinem Namen.

Das Schlusslicht bildet eine Fusion aus zwei Songs, die thematisch zwar nicht miteinander verbunden sind, doch auf instrumentaler Ebene direkt interagieren. Mit "Hold On" gibt es eine dramatisch hoffnungsvolle Ansage an den eigenen Glauben, während "Angel" das Raumschiff zum endgültigen Abheben bringt. Dabei leitet es geschickt in den Chor von "Effervescent!" über und schaukelt uns damit zurück zu unseren Heimatplaneten, von dem die Reise gestartet wurde. Ein großes Ende für ein fulminantes fünftes Album der Devin Townsend Project-Ära und ein brillantes fünfzehntes Album seiner gesamten Laufbahn.

Townsend erfindet auch mit "Epicloud" das Rad nicht neu - doch das muss er auch nicht, da er sowieso mit seinem eigenen durch die musikalische Welt rudert. Es scheint, als habe er alle Eigenheiten der letzten vier Alben übereinander gelegt und eine gehörige Prise Eingängigkeit hinzu gegeben. "Epicloud" klingt genau so, wie ich mir Devins Gedanken im inneren seines Wahnsinns-Schädels vorstelle. Ich habe lange überlegt, ob ich fünf oder sechs Punkte zücke, doch nach gut 20 Durchläufen über die letzten 12 Tage verteilt, kann ich nicht anders, als die Höchstnote zu ziehen. Niemals zuvor gab es eine humorvollere, augenzwinkernde, unterhaltende und professionellere Ansage an den ewigen Kampf zwischen Egoismus und Altruismus, zwischen Liebe und Angst. Auf welcher Seite das Devin Townsend Project steht, ist den hochwertigen Frequenzen eindeutig zu entnehmen. Wie tiefgründig man letztlich in das Album taucht, bleibt dabei jedem selbst überlassen. Ich für mich habe meinen Spaß auf vielen verschiedenen Ebenen, weshalb meine letzte Anmerkung zu diesem Riesentrip auch schlicht und ergreifend lautet: "Forget all the bullshit and rock! Lets rock!!"

Euer Fibo

Wertung

Tracklist von "Epicloud"

01. Effervescent! (0:44)
02. True North (3:53)
03. Lucky Animals (3:21)
04. Liberation (3:21)
05. Where We Belong (4:33)
06. Save Our Now (4:02)
07. Kingdom (5:29)
08. Divine (3:17)
09. Grace (6:09)
10. More! (4:05)
11. Lessons (1:07)
12. Hold On (3:57)
13. Angel (6:01)

Weitere Infos

Release: 21.09.2012
Spielzeit: 49:52

Devin Townsend (Gesang, Gitarre, Electronica)
Anneke van Giersbergen (Gesang)
Mark Cimino (Gitarre)
Brian Waddel (Bass)
Ryan van Poederooyen (Schlagzeug)

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